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Architektur ohne Architekten

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Mit neuen Serien hat Johannes Wende seither die anonyme Architektur weiter erforscht und ausgespielt, die sich bietet, wenn man die Lebensmittel ausgeräumt hat, die sie beherbergten. So zeigt das Video Neue Sammlung das Innere eines Kartons mit einer ausgesparten Öffnung, die wie ein wandhohes Fenster in einer geräumigen Halle erscheint. Tief stehendes Licht fällt in die Halle, und man kann den Verkehr hören und sehen, der sich auf dem Münchner Königsplatz vor der Antikensammlung abspult. Als befände man sich in einer leeren Kunsthalle, sieht man Menschen vorbeigehen oder Autos vorbeifahren und hört als gedämpftes Straßengeräusch, was sich in dem Karton als Rauschen sammelt. Die Aussenwelt, die sozusagen performativ sichtbar wird, erscheint klein und weit entfernt, verstärkt aber gerade dadurch die Illusion einer riesigen Halle.  

Man kann diese Kombination aus Raum und Öffnung als eine Anspielung auf das gelungene Eckfensterband sehen, das im naheliegenden Gebäude der Münchner Sammlung Brandhorst einen Panoramablick auf die Münchner Pinakotheken bietet. Wer es einmal gesehen hat, denkt auch an jenes Fenster, mit dem Franz Erhard Walther dem Gebäude der Klagenfurter Kunsthalle Ritter einen atemberaubenden Ausblick auf eine vielbefahrene Chaussee stiftete. Während es sich bei diesen Museumsfenstern um Autorenarchitektur handelt, war der Ausschnitt, den Wende in seinem Video monumentalisiert, Teil der Verpackung.

 

Anders als in den Serien Große Kunstausstellung und inside white boxes durchbricht Wende in dem Video Neue Sammlung allerdings die Illusion einer kantigen Halle, indem er die gebogenen Innenfalze sichtbar stehen lässt, mit denen die sechs Flächen des Kartons in der Fabrik zu einem Quader verschränkt worden waren. Sie verraten die Entstehung dieses Illusionsraumes aus einem mechanischen Prozess der Faltung, bevor die Güter darin eingefügt wurden, welche die Kartons dann sicher über einen Vertriebsweg von Transport und Lagerung bis zur Exponierung im Supermarkt bringen sollten. So verweist die Innenarchitektur der Neuen Sammlung zwar immer noch nicht auf einen Architekten, aber auf einen Produktionsingenieur, der freilich anonym geblieben ist. 

Hatte Wende in seiner ersten Serie die Güter stets ausgeräumt, bevor er die Kartons als Illusionsräume für eine fiktive Kunstausstellung nutzen konnte, so bleiben in der neuen Fotoserie Letzte Dinge Restbestände jener Lebensmittel sichtbar, für welche die ausgesteiften Transportbehälter einst angelegt worden waren. Einige wirken, als habe ein übersättigter Nutznießer die restlichen Vorräte dort einfach vergessen. Andere gewinnen in den unverändert belassenen Kartoninnenräumen ein Eigenleben als Kunstwerk, solitär wie eine vergrößerte Backform, die ein neues Kapitel der minimal art eröffnen könnte. Ein anderes Arrangement sieht aus, als habe Tony Cragg sich tatsächlich einmal mit Nudeln abgegeben. In weiteren Räumen stehen Kekse im Halbdunkel, als hielten sie sich auf der Flucht vor dem Zugriff eines nimmersatten Konsumenten dort versteckt. Andere lungern herum, als planten sie einen Ausfall aus ihrem Gefängnis oder machen sich einfach durch ein offenes Fenster davon. In der Videoinstallation Himmelfahrt kann man nachvollziehen, wie dramatisch es von innen aussieht, wenn das letzte Tuch seine Packung durch die dafür vorgesehene Öffnung verlässt.

 

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Aber auch die Einlagen solcher Warenkäfige kommen nun ans Licht, etwa die Papppuffer, die für Halt sorgen zwischen leicht verformbarem Zuckerwerk, oder die Zwischenlagen aus recyceltem Material, die Ordnung in die Stückzahlen bringen sollen: Lebensmittelkartons sind Kannibalen; sie verwenden ihre eingeweichten und zu Brei verarbeiteten Vorläufer als neue Baustoffe. 

 

Daraus können, wie die Serie Kartone zeigt, Formen entstehen, die wie Kunstwerke aussehen, ohne dass man sie eigens durch die white box einer Kartonkunsthalle verstärken müsste. Einfach indem man sie freistellt oder verschänkt, erscheinen sie, als wäre mit einem Lochraster das Frühwerk eines ZERO-Künstlers geborgen worden; als hätte Per Kirkeby ein Modell für einen seiner Ziegelbauten durchgespielt oder als hätte Richard Serra erschrocken erkannt, wieviel seine imposanten Formen an monumentaler Kontur verlieren, wenn man sie, statt in kantigem Industriestahl, in umweltfreundlicher Pappe umsetzt. 

 

Die Pappkonstellationen sind aber nicht als Parodien gedacht, sondern schöpfen das Assoziationspotential von Dingen und Materialien aus, die sich vorderhand überhaupt nicht für Kunst zu eignen scheinen, als solche aber durchaus reüssieren können. Andere Kombinationen sehen ganz ernsthaft so aus, als sei die Innenstruktur einer der Türme nachgestellt worden, die man in Bernard Rudofskys Buch findet, oder wie ein verworfener Alternativentwurf für Peter Rumthors Eifler Bruder-Klaus-Feldka­pel­le.

 

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Die Leichtigkeit, mit der Johannes Wende seine vorgefertigten Dinge verwandelt, zeugt von Humor. Das ist in der Kunst eine schwierige Qualität. Sie gilt entweder als Bestechungsversuch, der sich, wie ein Witz, schnell verschleisst, oder aber als Beleg dafür, dass man eine Sache nicht erstnimmt, die ernstgenommen zu werden verdient. Diese Kritik verfängt nicht bei den Werken von Wende. Vielmehr beweist er ein weiteres Mal, wie man Dinge in der Schwebe halten kann, selbst so schwere und bodenhaftende wie die Architektur. Dass es in dieser Richtung weitergeht, legt die Serie Stapel mit ihren anoynmen Behälterbalancen nahe, aber auch die Easy Pieces, die Papierbögen Haltung verleiht oder daraus geknüllte Bälle in der Luft fixiert. Es ist eine heitere Leichtigkeit, welche die Statik seiner Architektur ohne Architekten ausmacht, die wieder einmal „anschauliche Denkgebäude“ liefert.

 

Walter Grasskamp, 2020

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